Keine Angst vor großen Katzen

- der Luchs zwischen Harz und Solling

Luchs im Wildpark Neuhaus (Foto: Heiko Niehaus)
Luchs im Wildpark Neuhaus (Foto: Heiko Niehaus)

 

Noch heute erinnert im Harz nahe Lautenthal der sog. Luchsstein an die Erlegung des letzten Harzer Pinselohres im Jahr 1818. Rund 200 Jahre später, Ende 1999 fiel dann die Entscheidung, den Luchs im nördlichsten Mittelgebirge wieder heimisch zu machen. Nach mehrwöchiger Eingewöhnungsphase in einem versteckt gelegenen Auswilderungsgehege mitten im Nationalpark Harz gelangten bis zum Jahr 2006 24 Luchse in die Freiheit.

 

Mittlerweile ist das Projekt auf einem sehr guten Weg. Seit 2002 wurden mehr als 100 Jungtiere in der Freiheit geboren und die Harzer Luchspopulation ist eine der vitalsten in Europa.

 

Luchsmeldungen aus dem Umland des Harzes gehen mittlerweile weitaus häufiger bei der Nationalparkverwaltung ein, als noch zu Beginn des Projektes. Die Meldungen belegen eine deutliche Ausbreitungstendenz der größten europäischen Katzenart aus dem Harz hinaus. Mittlerweile jagt der Luchs auch in den Weizenfeldern und Rapsschlägen vor allem westlich des Mittelgebirges. Auch im Landkreis Holzminden steigt die Anzahl der Luchshinweise. Wenn sich dieser Trend fortsetzte, könnte von den Harzer Luchsen ein wichtiger Impuls für den Erhalt der Art in Mittel- und Westeuropa ausgehen.

Neugieriger Luchs im Wildpark Neuhaus (Foto: Heiko Niehaus)
Neugieriger Luchs im Wildpark Neuhaus (Foto: Heiko Niehaus)

Grundlage für das fortlaufende Luchsmonitoring der Nationalparkverwaltung ist vor allem die gute und intensive Zusammenarbeit mit Jägern und Förstern, die ihre Beobachtungen aus den Revieren weiterleiten. Jährlich können so rund 200 Luchsmeldungen ausgewertet werden.

 

Anfang 2008 startete ein Telemetrieprojekt. Inzwischen konnten 13 Luchse größtenteils mit modernster GPS-Technik überwacht werden. Die Tiere lieferten mitunter erstaunliche Erkenntnisse über die Streifgebietsgrößen und den Nahrungserwerb dieser großen Raubkatzen. Bereits zwei Jährlingsmännchen ließen sich außerhalb des Harzes einfangen und erhielten Halsbandsender. Die Tiere durchwanderten den Bramwald und den Solling und die umliegenden Landschaften. Hier soll in den kommenden Jahren ein Forschungsschwerpunkt des Luchsprojektes liegen, um die Ausbreitung und die Wanderwege der Luchse so genau wie möglich zu dokumentieren.

 

2006 war Ole Anders, Koordinator des Luchsprojektes, mit einem Vortrag über das Auswilderungsprojekt im Nationalpark Harz zu Gast beim NABU Holzminden. Damals gab es einen regionalen Bezug, da einige der im Harz ausgewilderten Luchse aus dem Wildpark Neuhaus stammten. Mittlerweile sind die großen Katzen im Landkreis Holzminden sogar wieder heimisch. Deshalb war er im März 2015 wieder hier mit dem Vortrag "Keine Angst vor großen Katzen  - der Luchs zwischen Harz und Solling".


Es stand im "Täglichen Anzeiger Holzminden" (TAH) am 30.03.2015:

"Der Luchs muss wandern können..."

Vielbeachteter Vortrag beim NABU Holzminden / Harzer Luchsprojekt ist auf gutem Weg

Foto: Jürgen Bommer
Luchsexperte Ole Anders (rechts) beantwortete am Ende seines Vortrages zahlreiche Zuhörerfragen

Holzminden/Stahle (jbo). Bereits zum zweiten Mal konnte der NABU Holzminden den Luchsexperten Ole Anders zu einem Vortrag im Kreis Holzminden begrüßen. 80 interessierte Mitglieder und Gäste des NABU nutzten die Gelegenheit, sich im Hotel Kiekenstein in Stahle vom Koordinator des Harzer Luchsprojektes auf den neuesten Stand in Bezug auf das im Jahr 2000 begonnene Auswilderungsprojekt der europäischen Großkatze bringen zu lassen.

 

Ole Anders begann seinen Vortrag mit umfassenden Informationen zum Europäischen, richtigerweise Eurasischen Luchs. Anders beleuchtete unter anderem das Territorialverhalten des Luchses und bekannte, dass es kontroverse Diskussionen zu dem großen Beutegreifer gibt. „Die Tierart ist mit Interessenskonflikten belastet, denn die Katze jagt!“ so der Experte. Die Gesellschaft müsse sich darüber klar werden: „Wollen wir den Luchs oder wollen wir ihn nicht?“ Die politische Meinung sei momentan „pro große Beutegreifer“. Dennoch müsse man davon ausgehen, dass man viele Dinge in 20 Jahren anders bewerten wird als heute, so Anders.

 

In dem Zusammenhang ist für den Landkreis besonders der Luchs mit der Bezeichnung „M8“ interessant. Er hält sich seit längerem im Kreis auf und wandert, so die Daten des Monitorings, regelmäßig zwischen Ith/Hils und der Region um Springe hin und her.

Foto: Jürgen Bommer

Anders ging auch auf mögliche Probleme mit der „Katze“ ein. So könne ein Aufeinandertreffen von Luchs und Hund durchaus problematisch verlaufen. Angriffe auf Nutztiere seien jedoch sehr gering, und die Regulation solcher Verluste würde unbürokratisch erfolgen. Die Auswirkungen auf die Jagd seien noch nicht abschließend zu beurteilen. Der augenorientierte Jäger reiße relativ verlässlichen Daten nach alle 5,4 Tage ein Stück Schalenwild. Diese Zahl werde jedoch dadurch relativiert, dass der Luchs ein enormes Jagdgebiet hat. 68 Stück Schalenwild pro Jahr verteilen sich so auf zirka 100 Quadratkilometer oder aber 0,68 Stück Wild pro Hektar.

 

Am Ende des Vortrages entwickelte sich eine angeregte Diskussion zwischen dem Luchsexperten und den Gästen des NABU, die viele interessante Fragen klären konnte. Mit großem Applaus dankte das interessierte Publikum dem extra aus dem Harz angereisten Luchsexperten für seinen informativen Vortrag.

 

Text und Fotos: Jürgen Bommer


Was ein Luchsriss so alles erzählt

von Bärbel Pott-Dörfer und Karsten Dörfer

Spannend ist es zu beobachten, wie ein Luchs seine Beute nutzt, was er sonst noch damit anstellt und wer ebenfalls davon profitiert. Am 4. April 2014 ergab sich für uns die Gelegenheit, eine kleine Dokumentation hierzu zu erstellen.

 

Am Freitag, den 4.4.14, klingelt mein Handy, als wir gerade auf einer Exkursion mit Naturschützern und der Naturschutzbehörde im Hellental unterwegs sind. Es ist der Revierleiter des Reviers Merxhausen, Uwe Hoffmann. Er berichtet, dass soeben der Forstwirt Thomas Seitz einen frischen Luchsriss entdeckt hat. Da ja Interesse bestehe, den Luchs, der im Solling per GPS häufig nachgewiesen wurde (sogen. M6), wieder zu fangen, um ihm ein neues Senderhalsband umzulegen, ergäbe sich hier vielleicht die Möglichkeit.

Die Kamera steht perfekt für die Abbildung des Luchses (Foto: Pott-Dörfer/Dörfer)
Die Kamera steht perfekt für die Abbildung des Luchses (Foto: Pott-Dörfer/Dörfer)

Der junge Kuder M6 war sehr rührig: Er ist von Deensen bis Fredelsloh, vom Göttinger Raum bis ins hessische Grenzgebiet lokalisiert worden. Zurück im Solling verlor sich dann seine Spur. Da M6 keine Signale mehr sendet, wäre es interessant zu wissen, ob es der Luchs, der nun mehrfach im Solling bestätigt wurde, sein könnte. In diesem Fall wäre es sinnvoll, das Tier ein weiteres Mal zu fangen, um ihm ein neues Senderhalsband umzulegen. Da bereits viele Daten von ihm vorliegen, würde eine so lange Serie von Lokalisationen sehr aufschlussreiche Informationen liefern können. Ich breche sofort auf, um 2 Fotofallen zu holen. Mit etwas Glück bekommt man Fotos von dem Tier, die es als M6 identifizieren könnten. Zwischendurch telefoniere ich mit Ole Anders, dem Koordinator des Luchsprojektes im Harz, der sich freut und auch erst einmal zum Einsatz der Fotofallen rät.

 

Der Luchs beim Fressen (Foto: Pott-Dörfer/Dörfer)
Der Luchs beim Fressen (Foto: Pott-Dörfer/Dörfer)

Am "Tatort" werden zuerst gewissenhaft und ohne Spuren zu verwischen Kennzeichen untersucht, die auf einen Luchs als Verursacher hindeuten könnten. Das Reh hat einen Kehlbiss und ist an der hinteren Keule angefressen - dies sieht man jedoch kaum, da der Luchs Gras zusammengekratzt und Teile des Rehs damit zugedeckt hat - typisch für ihn. Genau wie das Fressen des reinen Muskelfleisches. Ich nehme einige Abstrichproben (vermutete Speichelreste an den Biss-Stellen), um ggf. eine DNA-Analyse durchführen lassen zu können. Sollte sich der Luchs nicht fotografieren lassen, könnte man damit zumindest feststellen, um was für ein Individuum es sich handelt, bzw. ob es M6 war. Ein absolut typisches Trittsiegel ist im aufgeweichten Wegrand zu erkennen, asymmetrisch und ohne Krallenabdrücke - 7-9 cm Durchmesser sind für den Vorderfuß typisch, 7-8 cm für den Hinterfuß. Ich ziehe das Reh 3 m weiter in Deckung, denn es liegt sehr offen auf einer Schneise am Weg.

Ein toller Schnappschuss (Foto: Pott-Dörfer/Dörfer)
Ein toller Schnappschuss (Foto: Pott-Dörfer/Dörfer)

Schließlich kommt mein Mann Karsten, Biologe so wie ich auch, um die Situation ebenfalls in Augenschein zu nehmen. Wir kommen uns vor wie Forensiker am Tatort. Karsten findet heraus, dass der Luchs das Reh jenseits des Forstwegs gerissen haben muss. Dort liegen viele Rehhaare, aber auch weiche, weiße Unterwolle vom Luchs! Das Reh hat den Luchs offenbar mit den "Schalen" attackiert und ihm dabei Wolle ausgerissen. Haare mit intakten Wurzeln sind noch besser geeignetes Material, um DNA zu gewinnen. Dann sehen wir auch eine Schleifspur über den Weg hin zu der Stelle, wo es gelegen hat. Schließlich bauen wir die beiden Fotofallen auf, testen, ob sie auslösen und verlassen das Reh, in der Hoffnung, morgen den Luchs auf der Kamera zu haben.

Der Luchs ist auffällig wenig gemustert (Foto: Pott-Dörfer/Dörfer)
Der Luchs ist auffällig wenig gemustert (Foto: Pott-Dörfer/Dörfer)

Morgens früh ist das Reh wieder auf die Schneise zurückgezogen worden, der Luchs hat offenbar auch weiter gefressen. Ein Oberschenkelknochen liegt jetzt ganz frei. Auf einer Kamera sind die Luchsohren abgebildet und man sieht, dass der Rehkörper offenbar aus der Deckung gezogen wird. Auf der anderen Kamera sind einmal leuchtende Augen zu erkennen. Vom Luchs? Die Technik der Fotofallen ist noch immer nicht ausgereift, obwohl unsere recht bewährt sind. Daher ist leider immer wieder mit Ausfällen zu rechnen - sonst hätten wir den Luchs beim Fressen erwischt haben müssen.

 

 

Nachdem wir das Reh wieder in die Deckung gezogen haben, ist am nächsten Morgen die Situation unverändert. Der Luchs war offenbar nicht da.

Abends kommen Ole Anders und seine Mitarbeiterin Lilli Middelhoff. Sie möchten aber erst dann eine Falle aufstellen, wenn sie wissen, ob es sich um M6 handelt. Wir wollen daher erst versuchen abzuklären, ob er ein Senderhalsband trägt.

 

"Unser" Luchs ist insgesamt vom 4.4 .bis 13.4. also 9 Tage mit Unterbrechungen immer mal wieder am Riss erschienen, hat aber insgesamt relativ wenig gefressen: Die Keulen, ein Blatt und Gewebe an Brust und Hals. Interessant war, dass ihn der menschliche Geruch kaum gestört zu haben scheint. Er hat das Reh immer wieder ein Stück weiter in die Schneise oder in den Wald gezogen und teilweise sehr gut verblendet, dann wieder offen liegen gelassen! Insgesamt dürfte er den Kadaver in dieser Zeit ca. 50 m verschleppt haben. Wir haben teilweise schöne Videos, aber auch Fotos von ihm, wie er am Riss frisst und wie er ihn weiterzieht.

Man sieht wie schmal er ist, ohne abgekommen zu sein. (Foto: Pott-Dörfer/Dörfer)
Man sieht wie schmal er ist, ohne abgekommen zu sein. (Foto: Pott-Dörfer/Dörfer)

Schon am 8.4. ist klar, dass es nicht M6 ist, er trägt keinen Halsbandsender, ist eher wenig gemustert und scheint recht jung zu sein. Schon jetzt hat kurzfristig ein Bussard am Kadaver gefressen, jedoch keine Raben, obwohl sie meistens in der Nähe waren. Durch die Kameras hat sich der Luchs nicht stören lassen, weder durch Infrarotlicht noch durch normales Blitzlicht. Aufnahmen entstanden mehrmals über einen Zeitraum von ca. 30 Minuten. Häufig war er gegen halb 6 Uhr morgens am Riss, dann wieder mitten in der Nacht. Einmal wurde eine Maus abgelichtet, die am Kadaver fraß. An den letzten drei Tagen der Kontrollen vom 14. bis 16.4. waren 1-2 Mäusebussarde am Kadaver, die die "angeschnittenen" Teile weitergefressen haben. In der Dämmerung und nachts waren sie nicht am Kadaver.

In der letzten Nacht hat ein Baummarder den Kadaver über 20 Minuten immer wieder genutzt.

 

Erstaunlich war, wie lange der Luchs zum Riss zurückgekehrt ist, dass er einmal den Kadaver 2 Tage nicht aufgesucht hat, ebenso, dass kein Fuchs, kein Waschbär oder Marderhund am Riss abgelichtet wurde. In nicht wenigen Fällen vernichten Raben, Fuchs und Greifvögel oder auch Wildschweine einen Rehkadaver in wenigen Stunden bis auf die großen Knochen und Haare.

 

Möglicherweise hat die Staupe, die im Vorjahr als Seuchenzug umging, Fuchs und Waschbär sehr stark dezimiert. Dass der Luchs so relativ wenig gefressen hat, mag daran liegen, dass er nur kurz verweilen wollte, um weiter auf Brautschau oder Bräutigamschau (?) zu gehen, meint Ole. (Luchsweibchen haben in Mitteleuropa eine Reviergröße von ca. 150 qkm, Männchen, die sogenannten Kuder, bis zu 400 qkm!)

 

An einem Tag konnte Uwe Hoffmann den Luchs abends knapp 2,5 km Luftlinie vom Riss entfernt auf ca. 100 m beobachten und sogar fotografieren. Der Luchs war recht gelassen. Aufgrund des gesehenen Markierverhaltens kann man leider nicht sagen, ob es eine Luchsin ist, da beide Geschlechter sich beim Markieren gleich verhalten. Wir vermuten es aber aufgrund der Fotofallenbilder.

 

Bitte melden Sie Luchsbeobachtungen an die Förstereien, die Naturschutzbehörden, die Naturschutzbeauftragten, die Jagdberechtigten oder die Autoren!