Weißstörche in Boffzen

2015 gab es in Boffzen die erste erfolgreiche Brut eines Weißstorchpaares im Landkreis Holzminden seit vielen Jahrzehnten. Anfang April begann ein Storch damit, auf dem kleineren der beiden stillgelegten Schornsteine der Georgshütte neben dem Glasmuseum, ein Nest zu bauen. Mitte des Monats gesellte sich ein zweiter Vogel hinzu, der beringt war. Ewald Frisch, Storchenexperte des NABU, konnte die Ringnummer ablesen und stellte fest, dass es sich um ein Weibchen handelte, das in Arnheim in den Niederlanden geschlüpft ist. Mitte Mai zeigten für kurze Zeit sogar noch zwei weitere Weißstörche Interesse an dem Platz auf dem Schornstein. Aber das Brutpaar setzte sich durch und zog erfolgreich zwei Junge auf.

 

 

Auch das Interesse der Boffzener und der Museumsbesucher an den Störchen war groß. Der Freundeskreis Glasmuseum e.V. organisierte einen Wettbewerb zur Namensgebung und die Teilnehmer schlugen mehrheitlich „Georg“ – wegen des Nistplatzes auf der Georgshütte – und „Antje“ (aus Holland) als Namen für das Storchenpaar vor. Es bleibt spannend, ob die beiden dieses Jahr zum Brüten zurückkehren werden, wobei natürlich nur „Antje“ durch ihren Ring wiederzuerkennen wäre.

 

Das Storchennest – noch mit den verbauten Kunststoffseilen (Foto: Tanja Frischgesell)
Das Storchennest – noch mit den verbauten Kunststoffseilen (Foto: Tanja Frischgesell)

Unklar ist auch noch, wie sicher der Horst auf dem Schornstein ist. Bei starkem Wind sah es während der Brutzeit mehrmals so aus, als könnte das Nest in Gefahr sein. Volkmar Henke aus Boffzen, der ehrenamtlich im Glasmuseum gearbeitet hat und dem die Störche besonders am Herzen lagen, verfügte vor seinem Tod, dass auf Blumen und Ähnliches anlässlich seiner Beerdigung verzichtet werden sollte und bat stattdessen um Spenden. So kamen 2.010 Euro zusammen, die seine Witwe Gerda Henke dem NABU Holzminden überreichte. Vertraglich wurde vereinbart, dass das Geld ausschließlich zur Sicherung und Optimierung des Brutplatzes dienen sollte.

 

 

Walter Waske, Vorsitzender des Freundeskreises Glasmuseum e.V., bat die Feuerwehr Höxter um Hilfe, die ihre Drehleiter zur Verfügung stellte. Von oben betrachtet, machte der Horst einen stabilen Eindruck: Die Störche hatten Grassoden eingetragen und so eine feste obere Schicht gebildet. Leider hatten sie auch Nylonseile verbaut, die in der Landwirtschaft viel Verwendung finden und oft einfach irgendwo liegengelassen werden. Diese Seile sind absolut reißfest und bilden eine große Gefahr für Tiere. Bei Nistkastenkontrollen wurden schon mehrmals tote Stare oder Sperlinge gefunden, die Fäden solcher Seile als Nistmaterial verwendet und sich damit stranguliert haben. Auch für die Jungstörche besteht die Gefahr, sich in den Seilen zu verheddern und qualvoll zu sterben. Glücklicherweise konnte der Feuerwehrmann die Seile erreichen und aus dem Nest entfernen. Leider ist es nicht ausgeschlossen, dass die Störche wieder so etwas eintragen, wenn sie im Frühjahr den Horst weiter ausbauen. Im Interesse der Tiere – und des Landschaftsbildes – müssen Kunststoffseile und deren Reste konsequent entsorgt werden! Ob an dem Schornsteinrand bauliche Veränderungen vorgenommen werden müssen, um das Storchennest besser zu sichern, muss noch abschließend geklärt werden. Es hängt auch davon ab, wie viel die Störche im nächsten Jahr aufstocken – wenn sie hoffentlich wiederkommen.

 

Walter Waske und ein Feuerwehrmann aus Höxter bei der Vermessung des Storchennestes (Foto: Tanja Frischgesell)
Walter Waske und ein Feuerwehrmann aus Höxter bei der Vermessung des Storchennestes (Foto: Tanja Frischgesell)

Außerdem wäre es wichtig, dass Nahrungsangebot in der Umgebung zu verbessern. Weißstörche fressen u.a. Frösche, Eidechsen, kleine Schlangen und große Insekten, wie z.B. Heuschrecken. Sie brauchen feuchte, zumindest extensiv bewirtschaftete Wiesen. Das Boffzener Storchenpaar flog zur Nahrungssuche oft an die Godelheimer Seen und zum Taubenborn im Kreis Höxter. Dass 2015 ein gutes „Mäusejahr“ war, wird entscheidend zum Bruterfolg beigetragen haben, da auch Kleinsäuger auf dem Speiseplan der Weißstörche stehen.

 


Ein neues Nest für die Weißstörche in Boffzen

Das alte Nest wird vom Schornstein entfernt und die genauen Maße für die Nistplattform werden genommen (Foto: Ulrich Frischgesell)
Das alte Nest wird vom Schornstein entfernt und die genauen Maße für die Nistplattform werden genommen (Foto: Ulrich Frischgesell)

Nachdem 2015 und 2016 jeweils zwei Jungvögel flügge geworden sind, gab es im vergangenen Jahr leider keinen Bruterfolg bei den Boffzer Störchen: Pfingsten wurden die beiden ca. 3 Wochen alten Storchenjunge nacheinander tot am Fuß des Schornsteins gefunden. Möglicherweise konnten die Altvögel während der langen Trockenperiode nicht genug Regenwürmer finden, oder die starken Regengüsse zu Pfingsten haben zum Tod der Jungen geführt. Eine andere mögliche Erklärung wäre Unerfahrenheit der Altvögel: Bei der ersten Brut kommt es bei Weißstörchen öfter vor, dass sie ihre Jungen aus dem Horst werfen. Beide Störche in Boffzen sind nicht beringt, daher kann man über ihr Alter und ihre Herkunft nichts in Erfahrung bringen.

 

 

 

Nachdem im Frühjahr zuerst das „alteingesessene“ Brutpaar auf das Nest auf dem Schornstein der Georgshütte zurückgekehrt war (wobei nur das Weibchen “Antje“ anhand des Ringes eindeutig bestimmt werden konnte), kam es mehrfach zu Kämpfen mit anderen Störchen um den Brutplatz. Dabei wurde zumindest „Antje“ vertrieben, die – leider ebenfalls erfolglos – in Ovenhausen im Kreis Höxter brütete.

 

Um zumindest das Problem der Staunässe im Storchennest in Zukunft zu verringern, wurde im Herbst 2017 eine Nistplattform aus Metall auf den Schornstein montiert. Nach einem Bauplan von Bernd-Jürgen Schulz aus Einbeck, der sich seit Jahren um die Weißstörche in und um den Leinepolder Salzderhelden kümmert, fertigte die Firma Metallbau Koch aus Boffzen die Plattform passgenau für den Schornstein an. Die Koordination der Arbeiten übernahm Walter Waske, der zusammen mit Herrn Schulz und Herrn Koch auch das neue Storchennest in 18 Metern Höhe einrichtete – emporgehoben durch die Drehleiter von Herrn Sternberg. Die Kosten für die Nistplattform und die damit verbundenen Arbeiten übernahm zum großen Teil die Naturschutzstiftung des Landkreises, bei der der NABU einen Förderantrag gestellt hatte.

 

Die neue Nistplattform (Foto: Tanja Frischgesell)
Die neue Nistplattform (Foto: Tanja Frischgesell)

Vorausgesetzt, dass in diesem Jahr wieder Störche den Brutplatz auf dem Schornstein der Georgshütte beziehen, soll der Nachwuchs beringt werden. Bernd-Jürgen Schulz hat seit dem vergangenen Jahr die Erlaubnis, Weißstörche nicht nur im Landkreis Northeim, sondern auch auf dem Gebiet des Landkreises Holzminden zu beringen. 2017 stand der Beringungstermin schon fest, leider sind die jungen Störche eine Woche vorher gestorben.

 

 

 

Langfristig möchten der NABU und die Einwohner von Boffzen, die sich für die Störche engagieren, das Nahrungsangebot zur Brutzeit verbessern. Ein erwachsener Storch benötigt täglich etwa 600 Gramm Nahrung (das entspricht ungefähr 16 Mäusen oder 600 Regenwürmern). Muss er außerdem noch eine Storchenfamilie mit zwei Jungen ernähren, so ist er lange unterwegs, um die benötigten Nahrungsmengen zusammenzusuchen: Ein Jungvogel braucht für einen kurzen Zeitraum bis zu 1.600 Gramm Nahrung pro Tag – das bedeutet, dass der tägliche Bedarf einer ganzen Storchenfamilie bei etwa 4.400 Gramm liegt. Um so wichtiger ist es für die Störche, dass sich in direkter Umgebung ihres Nestes extensiv bewirtschaftetes, möglichst feuchtes Grünland befindet, auf dem sie ausreichend Nahrung finden können.

 


Beringung des Storchennachwuchses

Foto: Torsten Maiwald
Foto: Torsten Maiwald

Am 30.05.2018 wurden in Boffzen auf dem Gelände der ehemaligen Glashütte drei gesunde Jungstörche durch den Beauftragten der Vogelschutzwarte Helgoland, Bernd-Jürgen Schulz aus Einbeck, beringt. Dabei wurde kurzzeitig ein Storch aus dem Nest genommen, um der anwesenden Öffentlichkeit und Presse den Ablauf dieser für die Vögel harmlosen Maßnahme zu zeigen. Zeitgleich konnte so auch der Schnabel gereinigt werden. Alles wurde von den Storcheneltern vom Nachbarturm und aus der Luft genau beobachtet. Die etwa sechs Wochen alten Störche werden nochmals mindestens vier Wochen im Nest verbringen.